Dezember 2022

Lernen durch Engagement in Bayern!

Sondernewsletter LdE-Preis "Eine Klasse für sich und andere"

Power durch Engagement: Ausgezeichnete LdE-Projekte des Jahres 2022

Am 1. Dezember 2022 strömten über 160 Schüler*innen und Lehrkräfte, Schulleitungen und Ehrengäste ins Sudeten-deutsche Haus in München, um mit uns die fantastischen Engagementprojekte zu feiern, die in diesem Jahr unseren Schulpreis „Eine Klasse für sich und andere“ gewonnen haben. Die Castringius Kinder & Jugend Stiftung vergibt diesen Preis jährlich in Kooperation mit der Stiftung Gute Tat, dem LBE Bayern und dem Bayerischen Kultusministerium.

Wir freuen uns sehr, in diesem Sondernewsletter die fünf Preisträgerschulen und ihre Projekte zu präsentieren und sind unglaublich stolz auf die Kinder und Jugendlichen, die mit ihren Engagements den Belastungen der Pandemiezeit die Stirn geboten und sich in beeindruckender Weise für andere eingesetzt haben. Mindestens ebenso stolz sind wir auf die aktiven Lehrkräfte, die ihren Schüler*innen unvergessliche Selbstwirksamkeitserfahrung ermöglichen, ihren Unterricht mit Engagementlernen bereichern und die ihren Schulstoff auf so anregende Weise mit zivilgesellschaftlichem Engagement verbunden haben. 

Ein großer Dank geht an die bayerische Ehrenamtsbeauftragte Eva Gottstein, die die feierliche Preisverleihung durch Ihre Unterstützung ermöglicht hat. Zum Schluss eines sehr lebendigen LdE-Jahres lassen wir Sie gerne Einblick nehmen in die Themen und Aktionen, für die unsere Preisträger ausgezeichnet wurden. Ihnen allen ein gesundes und glückliches Neues Jahr! Wir freuen uns auf viele weitere Ideen und Projekte, die in unserem Netzwerk entstehen werden. Alles Gute und frohes Fest,

Regine Leonhardt (Stiftung Gute Tat), Claudia Leitzmann und Silvia Kalb (LBE Bayern/Netzwerkstelle LdE in Bayern)


1. Preis: Johannes-Hess-Grundschule, Burghausen „Wir wollen Frieden“

Kennen Sie den „Schmetterlingseffekt“? Er beschreibt, wie der Flügelschlag eines Schmetterlings unter Umständen tausende Kilometer entfernt einen Tornado auslösen kann. Wirbelstürme haben die Schüler*innen der Johannes-Hess-Grundschule in Burghausen zwar nicht entfacht, aber sie haben eindrucksvoll vorgemacht, wie aus der guten Idee drei einzelner Kinder eine richtige „Bürger*innen-Bewegung“ entstehen kann.

Um der Hilflosigkeit etwas entgegenzusetzen, die sie durch die anhaltend schlechten Nachrichten seit Beginn des Ukrainekriegs empfanden, hatten Matthis, Bennet und Finja zunächst begonnen, an ihrem Gartenzaun selbstgestaltete Postkarten zu verkaufen und den Erlös an bedürftige Menschen zu spenden. Die Idee kam bei den Nachbarn und bei Passant*innen so gut an, dass die Kinder merkten, welches Mitmachpotenzial sie damit entfalten konnten. So mobilisierten sie erst ihre Klasse und inspirierten bald die ganze Schule, die Aktion gemeinsam weiterzuentwickeln. 300 Kinder haben sich insgesamt beteiligt. Einen außerschulischen Partner konnten sie auch sofort gewinnen - die Initiative „Helfende Hände“ Burghausen, mit der die Schule bereits durch eine Upcycling-AG für mehr Nachhaltigkeit im Alltag kooperierte, schloss sich den Kindern begeistert an. 

„Wir wollen Frieden!“ Unter diesem Motto haben die Kinder ihre Bewegung weit in die Stadtgesellschaft getragen. Sie überzeugten den Bürgermeister, sie mit vom Bauhof errichteten Verkaufshütten aus städtischem Bestand zu unterstützen. Immer mehr Produkte wurden gebastelt, genäht und gemalt, die sich gut verkauften, das Spendenvolumen wuchs und wuchs. Mit dem Abschluss ihrer Aktion waren über 3600€ zusammengekommen. Um sie ver-antwortungsbewusst auszugeben, recherchierten Vertreter und Vertreterinnen des Schülerparlaments, welche Initiativen und gemeinnützige Institutionen sich in Burghausen um Geflüchtete aus der Ukraine und andere Bedürftige kümmern. Demokratisch wurde schließlich entschieden, wie das Geld aufgeteilt und ausgegeben werden sollte.

Die überwältigenden Reaktionen zeigen: Diese Grundschüler*innen haben mit Kreativität, Mut, Energie und Überzeugungskraft ihre Stadtgesellschaft mobilisiert. Die Jury hat entschieden: das ist der erste Preis!


1. Preis: Gymnasium Landau an der Isar, „Generationen gemeinsam aktiv“

 

Normalerweise käme jetzt der zweite Preis an die Reihe. Aber unter den 44 Einsendungen für „Eine Klasse für sich und andere“ war noch ein Projekt, das an Qualität und Dynamik ebenbürtig war und die Jurymitglieder ebenso begeisterte. 

Die Schüler*innen des Gymnasiums Landau an der Isar nutzten die schwierigen Coronazeiten, um der allgemeinen Ratlosigkeit mit guten Ideen etwas entgegenzusetzen. Zunächst schien ein P-Seminar zum Thema „Organisation eines Großevents“ am Virus zu scheitern, denn Events waren unmöglich geworden. Statt aufzugeben, entwickelten die Jugendlichen neue Ideen, wie sie kleinere Aktionen planen und stattfinden lassen konnten. Der reale Bedarf, den sie bearbeiten wollten, stellte sich deutlich dar: Die Bewohner*innen zweier Altenheime waren schnell als wichtige Zielgruppe identifiziert. Die Jugendlichen erfanden eine Vielzahl kleinerer Projekte, um mit den Senior*innen in Kontakt treten zu können und um auch über Distanz und zeitweiliges Besuchsverbot hinweg tragfähige Verbindungen aufzubauen.

Neben Geschenk- und Bastelaktionen organisierten sie über 40 dauerhafte Brieffreundschaften zwischen Jungen und Alten und planten Spaziergänge und Zusammenkünfte für die Zeit, wenn die Pandemie-maßnahmen gelockert sein würden. Sie verbanden Unterricht zur eigenen Berufsorientierung mit der Anregung, in biografischen Austausch mit den Hochbetagten zu treten, um zu erkunden, wie sich die Berufswahl über viele Jahrzehnte verändert hat. Bald weiteten sich die Aktivitäten derart aus, dass ein jahrgangsübergreifender Wahlkurs ins Leben gerufen wurde, in dem noch viel mehr Schüler*innen ihre Talente und Ideen einbringen konnten.

Ganz besonders beeindruckte die Jury, dass sich die Gruppen von vielen Hindernissen und Rückschlägen, die durch die Pandemielage immer wieder entstanden, nicht entmutigen ließen. Sie setzten ihre Projektmanagement-Skills und viele andere Kompetenzen gezielt ein, um „jetzt erst recht“ alternative Lösungen zu finden. Am Ende gab es doch zahlreiche Möglichkeiten, mit den Senior*innen zusammenzukommen und gemeinsame Aktionen zu gestalten. Am Ende? Ganz im Gegenteil! Die Jugendlichen und ihre Lehrkräfte sind so motiviert und überzeugt, dass ihre Liste neuer Ideen schon eindrucksvoll lang ist. Wir sagen: Ein großartiger erster Preis!


2. Preis: Sigmund-Schuckert-Gymnasium Nürnberg, "Unterstützung für die Obdachlosenhilfe"

Gebraucht werden und dort helfen, wo es am nötigsten ist? Im Schulunterricht gar nicht so üblich, schon gar nicht im Fach Geografie. Kreative Unterrichtsgestaltung am Sigmund-Schuckert-Gymnasium inspirierte die Schüler*innen aus Q11 und Q12, sich in ihrem P-Seminar mit dem Thema Marginalisierung von Menschen in der Stadt und mit sozialer Segregation auseinanderzusetzen und sich in der Obdachlosenhilfe Nürnberg zu engagieren. Sie tauchten tief in die Tätigkeitsbereiche der Engagierten dort ein und kombinierten ihre Erfahrungen im Unterricht mit der fachlichen Erkundung des Themas Ehrenamt und des Berufsfelds Soziale Arbeit.

Wichtige Aufgaben waren schnell vorhanden: Die Obdachlosenhilfe hatte darum gebeten, ihren Flyer in verschiedene Sprachen zu übersetzen, um ihn mehr Menschen zugänglich machen zu können. Die Jugendlichen verfügten selbst über einige Herkunftssprachen, die sie sofort einbringen konnten, gewannen aber auch andere Mitschüler*innen und deren Familien für die Übersetzung. Das Produkt enthält nun Informationen auf Deutsch, Englisch, Polnisch, Rumänisch, Russisch, Serbokroatisch, Spanisch und Türkisch. Durch gezielte Umfragen zeigten sich vielfältige neue Herausforderungen, denen sich die Schüler*innen zuwandten: 

Sie halfen in den bestehenden Strukturen wie Kleider- und Essensausgabe mit, tragen bis heute ideen- und kenntnisreich zu Verbesserungen in logistischen Abläufen und bei der Ausschilderung von Räumen bei und planen die Gestaltung einer dringend benötigten Homepage.

Ihre Mehrsprachigkeit erwies sich einmal mehr als großes Kapital: Während Herkunftssprachen in Schulen äußerst selten wertgeschätzt oder genutzt werden, konnten die Schüler*innen sie im Kontakt mit den obdachlosen Menschen und Geflüchteten gewinnbringend einsetzen. Sie stellten fest, dass Zuwendung und persönliche Gespräche für die Betroffenen sehr bedeutungsvoll waren. Eine Erfahrung, die für alle Beteiligten beeindruckend war: für die Jugendlichen, die auf diese Weise ihren sprachlichen Reichtum spüren und nutzbar machen durften, für die Ehrenamtlichen, die diese Sprachvielfalt bisher nicht aufbieten und für Persönliches häufig keine zeitlichen Kapazitäten aufbringen konnten, und für die Menschen, die Zuwendung und den Austausch in ihrer Sprache erfahren konnten. Das Projekt leuchtet über Nürnberg hinaus und zeigt eindrucksvoll, wie vielfältig wirksam Geografieunterricht sein kann!


3. Preis: Max-Ulrich-von-Drechsel-Realschule-Regenstauf und Edith-Stein-Realschule Parsberg, „Einfach Danke sagen“ 

Ja, es war ziemlich einfach, während der Pandemie den besonders belasteten Berufsgruppen "Danke" zuzurufen und sie von den Balkonen aus zu beklatschen. Aber bald stellte sich heraus, dass es damit nicht getan sein konnte und dass unzumutbare Arbeitsbedingungen, Überlastung und die stete Auseinandersetzung mit dramatischen Zuständen und Tod andere Wege des Dankes erforderten.

Schüler*innen der Jahrgangsstufen 6 und 8 der Max-Ulrich-von-Drechsel-Realschule Regenstauf und der Edith-Stein-Realschule in Parsberg haben das sehr ernst genommen. Sie hatten sich im evangelischen und katholischen Religionsunterricht schon während des ersten Coronajahres mit den „Helden des Alltags“ beschäftigt und wollten an Weihnachten 2021 ganz gezielt das Personal von Kliniken in den Blick nehmen. Was aber tut man, wenn man gar nicht an die Zielgruppe herankommt, Besuche in Krankenhäusern verboten sind und man sich was „ganz Besonderes“, Individuelles vorgenommen hat?

Die Jugendlichen entschieden sich für etwas, das wirklich allen Beschäftigten im Krankenhaus zugutekommen und über die ganze Adventszeit jeden Tag eine kleine Überraschung bereithalten würde: einen digitalen Adventskalender. Sie gestalteten mit viel Herz und Kreativität Gedichte, kleine Filme und gemalte oder gezeichnete Werke, in denen sie ihre tiefe Anerkennung und Dankbarkeit zum Ausdruck brachten. Dieses Gefühl hatten sie im Unterricht ausführlich reflektiert und festgestellt, dass die Fähigkeit, Dankbarkeit empfinden zu können, nicht nur Wertschätzung für Andere vermittelt, sondern auch eigene Ressourcen und individuelle Resilienz stärkt. 

Mittels Links und QR Codes ließen sie allen Kliniken im Umkreis ihren Adventskalender zukommen und erhielten viele begeisterte Reaktionen: „…Wenn mehr Menschen und auch die Politik endlich so denken würden wie Ihr und unsere Arbeit mehr zu schätzen wüssten, würden sich bestimmt auch unsere Arbeitsbedingungen verbessern und viel mehr junge Erwachsene würden diesen wertvollen Beruf ergreifen. Nochmals vielen Dank für diese tolle Idee!“ Dem konnte sich die Jury nur anschließen. Herzlichen Glückwunsch!

Zum Online-Adventskalender


Sonderpreis: Werner von Siemens-Gymnasium,„Barrierefreies Weißenburg?“

Barrierefreiheit für Menschen mit Hörbehinderung - Wenn Ihnen dieses Stichwort noch nichts sagt, schauen Sie sich unbedingt den Film an, den ein P-Seminar im Fach Geographie am Werner-von-Siemens-Gymnasium in Weißenburg erarbeitet hat. Zunächst beschäftigten sich die Schüler*innen mit Stadtplanung und legten fest, dass sie die Belange von Menschen mit Behinderung zum zentralen Thema ihres Seminars machen wollten. Dazu erforschten sie so gut wie möglich am eigenen Leib die Hürden, die Menschen mit Beeinträchtigungen das Leben in ihrer Stadt erschweren. Sie absolvierten eine Stadt“begehung“ in Rollstühlen, um den erwünschten Perspektivwechsel zu vollziehen und selbst zu erleben, wie hindernisreich ein solcher Parcours sich im Alltag darstellt.

Mit der Unterstützung zahlreicher Profis u.a. aus BR-Redaktionen, eines Drohnenpiloten, von Fachleuten des Projekt-managements und eines Beraters für Barrierefreiheit drehten sie anschließend zwei Filme auf beeindruckend professionellem Niveau. Dabei thematisierten sie sowohl die Barrieren für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen als auch von Personen mit Hör- oder Sehbehinderungen. Eindrücklich wird gezeigt, warum es gut sichtbar gekennzeichnete Stufen und klug angebrachte Handläufe an Gebäuden braucht, dass Geldautomaten mit dem Rollstuhl unterfahrbar sein müssen und die Neigung der Touchscreens auch dem Blickwinkel sitzender Personen angepasst sein sollte. Auf welche Weise akustische Verzerrung in Kirchen und Stadthallen die Teilhabe von Menschen mit Hörschwierigkeiten an Konzerten, Veranstaltungen und Gottesdiensten unmöglich machen können, wird ebenfalls geschildert.

Besonders beeindruckte die Jury, dass die Jugendlichen neben Interviews mit Betroffenen auch sehr konkret und direkt mit Verantwortlichen ins Gespräch gingen. Sie befragten einen Sparkassendirektor und den Bürgermeister der Stadt Weißenburg zur Barrierefreiheit wichtiger Gebäude, Bürgersteige und Dienstleistungen und konfrontierten sie in ihrem Film immer wieder mit den Kon-sequenzen, die ihre Entscheidungen auf betroffene Bürger*innen haben. Als Anerkennung dieser großen Leistung wird der aus-gezeichnete Film der Gruppe nun auf vielfältigen Wegen verbreitet, z.B. auf dem bayerischen Ehrenamtsportal und im bundesweiten Netzwerk Lernen durch Engagement.

Zum Film "Barrierefreies Weißenburg?"


Fotos der Preisverleihung: Andreas Schebesta

Infos und Materialien

»Lernen durch Engagement« (LdE, englisch Service-Learning) ist eine Lehr- und Lernform, die gesellschaftliches Engagement mit fachlichem Lernen verbindet. Dabei engagieren sich Schülerinnen und Schüler nicht losgelöst oder zusätzlich zur Schule, sondern im Rahmen des Unterrichts und eng verbunden mit fachlichem Lernen. Das Engagement wird im Unterricht geplant, reflektiert und mit Inhalten der Bildungs- und Lehrpläne verknüpft. Gerade die neuen, kompetenzorientierten Lehrpläne für die Schulen in Bayern bieten für LdE viele Ansatzpunkte.

Hier finden Sie Links zu Materialen und weiteren Informationen:

 

Dieser Newsletter wird herausgegeben von der Netzwerkstelle LdE in Bayern c/o
Landesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement Bayern e.V.

tel: 0911 810129 -12/20
mail: lernen-durch-engagement@lbe-bayern.de

website: www.lernen-durch-engagement-bayern.de

Geschäftsführender Vorstand: Dr. Thomas Röbke
Redaktion: Silvia Kalb, Claudia Leitzmann

Das Landesnetzwerk wird gefördert durch